Von Vilnius nach Eutin
Ein Interview mit dem Stipendiaten der Eutiner Landesbibliothek
Im Lesesaal in der Eutiner Landesbibliothek: Hier, umgeben von historischen Büchern und der Ruhe der ostholsteinischen Landschaft, arbeitet Tomas Kotovičius (27) an seiner Dissertation. Der Doktorand der Universität Vilnius erforscht deutschsprachige Reiseberichte und die Darstellung von Vilnius – ein Thema, das ihn nicht nur wissenschaftlich, sondern auch persönlich begeistert.
Ein Weg voller Zufälle und Wendungen
„Als ich nach der Schule mein Studium begann, hätte ich nie gedacht, dass ich mich einmal der Germanistik widmen würde“, erzählt Tomas. Aufgewachsen in Vilnius, der Hauptstadt Litauens, studierte er zunächst Englische Philologie mit Deutsch als Nebenfach. Doch es war das Studium der deutschsprachigen Reiseliteratur im Masterstudium, die seine Leidenschaft entfachte.
Heute ist Tomas im dritten Jahr seiner Promotion, die er voraussichtlich 2026 abschließen wird. Sein Thema ist die Darstellung von Vilnius in deutschsprachigen Reiseberichten vom 16. bis ins 21. Jahrhundert. Die Eutiner Landesbibliothek (ELB), eine Schatzkammer für Reiseliteratur, spielt dabei eine zentrale Rolle: „Die Bibliothek wurde mir erst auf einer Tagung in Litauen empfohlen. Als ich hier ankam, war ich beeindruckt, wie gut sie mit meinem Thema verknüpft ist.“ Die ELB ist eine regionale Forschungsbibliothek mit überwiegend historischem Buchbestand, der sich auf Literaturgeschichte, Reiseforschung und Kulturgeschichte konzentriert.
Forschung trifft auf historische Ereignisse
Tomas’ Forschung zeichnet sich durch ihren ökologischen Ansatz aus. Er untersucht, wie Reisende Landschaften und Städte darstellen: Sind diese Orte fremd oder vertraut? „Es geht nicht nur um die Beschreibung von Sehenswürdigkeiten, sondern darum, welche Bilder und Muster sich über die Jahrhunderte hinweg wiederholen.“, führt Tomas aus.
Besonders spannend sei, wie historische Ereignisse die Darstellungen prägen. So etwa die französische Revolution, die Ende des 18. Jahrhunderts in den Texten von Autor:innen wie Therese Huber spürbar wird. Oder der Erste Weltkrieg, hierzu erklärt der junge Forscher: „Während dieser Zeit war Vilnius eine wichtige Basis der deutschen Zehnten Armee. Viele Reiseberichte und Reiseführer aus dieser Epoche sind stark propagandistisch geprägt.“
Eutin: Ein Ort der Konzentration
Seit September 2024 lebt Tomas in Eutin. Der Aufenthalt gibt ihm die Möglichkeit, sich auf das Schreiben seiner Dissertation zu konzentrieren: „Eutin ist ideal. Es ist ruhig, ich werde nicht allzu sehr abgelenkt, und gleichzeitig bietet die Region viele kulturelle Möglichkeiten.“ Trotz seines vollen Arbeitspensums hat Tomas im Herbst die Gegend rund um die ELB erkundet: „Die Seen, die sanften Hügel, das Schloss – es erinnert mich an meine Heimat. Diese Ausflüge sind wichtig, um die Balance zu halten.“
Für Tomas ist das Stipendium der Stiftungen der Sparkasse Holstein ein entscheidender Meilenstein auf seinem akademischen Weg. „Ohne die Unterstützung wäre ein Aufenthalt in Eutin kaum möglich gewesen. Das Stipendium gibt mir nicht nur die nötige finanzielle Sicherheit, sondern öffnet auch Türen für neue wissenschaftliche Kontakte und wertvolle Erfahrungen.“
Ein Blick in die Zukunft
Nach Abschluss seiner Dissertation möchte Tomas in der Forschung und Lehre bleiben. „Ich unterrichte bereits jetzt an der Universität Vilnius, aber ich hoffe, weiterhin internationale Netzwerke aufzubauen.“ Eine Rückkehr nach Deutschland schließt er nicht aus: „Die Möglichkeit, hier länger zu forschen, wäre reizvoll.“
Sein Ratschlag an künftige Stipendiat:innen: „Nutzt die Zeit in Eutin, nicht nur für die Forschung, sondern auch, um die Region zu entdecken. Der Austausch mit den Menschen hier und die Geschichte des Kreises sind genauso wertvoll wie die Arbeit in der Bibliothek.“
Tomas’ Reise zeigt, wie Leidenschaft und Neugier uns manchmal auf unerwartete Wege führen. Seine Forschung verbindet Vergangenheit und Gegenwart und trägt dazu bei, die kulturellen Verbindungen zwischen Litauen und Deutschland sichtbar zu machen. Die Eutiner Landesbibliothek ist dabei mehr als nur ein Arbeitsort – sie ist eine Brücke zwischen zwei Kulturen.